Die Futuristen haben Anfang des letzten Jahrhunderts
begonnen die Geräusche der Stadt als Musik zu interpretieren.
Noch 1927 nennt Walter Ruttmann seinen dokumentarischen Stummfilm
"Berlin. Die Sinfonie der Großstadt". Ende der 50er
Jahre hat die Fluxus Bewegung Musik mit ihrem performativen Charakter
sogar als Leitkunst gesehen. John Cage`s Stück 4'33'' besteht
nur in der Anweisung Stille. Bei seiner Aufführung hört
man nichts außer den Klavierdeckel und das Publikum husten,
rascheln und atmen. John Cage´s Arbeit verweist damit sowohl
auf die Bedeutung des institutionellen Rahmens für jegliche
künstlerische Produktion als auch auf den partizipativen Anteil
des Publikums und bezieht sich damit auf den damals wiederentdeckten
künstlerischen Beitrag Marcel Duchamps.
In der Voice Tag Sound Session werden an
das Publikum einfache Voice Tag Recorder verteilt. Sie bestehen
aus handelsüblichen Elektrobausätzen mit 10- Sekunden-
Aufnahmespeicher und sind für die Session um eine Loop- Abspiel-
Funktion erweitert. Besucher können die Recorder nach belieben
akustisch bespielen und deren Sounds in die Voice Tag Sound Session
einbringen. Auf acht Soundplätzen können Voice Tags während
der Session frei platziert werden. Acht Klangspuren vom Publikum
wechselnd bespielt ergeben einen offenen, diskursiven Klangteppich.
Via einer Internetkonferenz können zusätzlich entfernte
Teilnehmer akustische Signale beitragen.
Die Voice Tag Sound Session folgt über die vor
Ort spontan vom Publikum bespielten Soundmodule den akustischen
Bedingungen des Ortes. Sie bezieht Halleigenschaften ein oder Hintergrundgeräusche
und entspricht damit Daniel Burens Konzept des Erscheinungsorts
eines Kunstwerkes, das dieser in den 60er Jahren für den Bereich
der bildenden Kunst mit dem Attribut "in situ" definiert
hat. Im Bereich der Musik entwickelte diesen Ansatz Max Neuhaus,
der Erfinder der Klanginstallation: "Ich entwerfe kein einziges
Werk anderswo als im Raum selbst."
Das kritisch visionäre Interesse und das Wissen
von prinzipiell unmöglicher Objektivität veranlasst viele
Künstler heute von individuellen Behauptungen abzusehen und
die Teilnahme des Publikum an Kunst tragend mit einzubeziehen. Die
beiden Künstler Stefan Plessner und Christian Wiener wollen
in dieser Kunstaktion dem Betrachter nichts vorschreiben, ihn nicht
reglementieren oder belehren. Die Voice Tag Sound Session läßt
jede akustische und perspektivische Vielfalt zu. Vielleicht sind
Laute all das, was Menschen mit ihren Stimmbändern produzieren.
Vielleicht ist Klang all das, was Menschen zu akustischen Ereignissen
formen. Vielleicht ist Geräusch all das, was ohne menschlichem
Einfluss akustisches Ereignis wird. Voice Tags können pfeifen,
lachen, rülpsen, extrem laut sein oder Gedichte vortragen.
Jeder kann an dem Sound Experiment teilnehmen.
Es gibt keine fertige Komposition, keine festgelegten Parts. Die
Voice Tag Recorder mit ihren 10-Sekunden-Kleinstspeicher können
immer neu übersprochen werden. Voice Tags sind vergänglich,
die Session offen und nicht mit gleichem Ergebnis wiederholbar.
Jeder Voice Tag Recorder für sich ist
über die Aktion hinaus ein low tech Objekt zur interaktiven
Nachrichtenübermittlung. Besucher können die Voice Tags
im Anschluss an die Session mitnehmen. Als "Non-Visual Graffiti"
mit Ursprung in der Streetart, geben Voice Tags somit die Möglichkeit
öffentliche Orte auditiv zu taggen. Die Tags sind dann besitzerlos
und können von jedem Passanten abgehört und neu übersprochen
werden.
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